Die Vergessenen vom Rio Doce
Von Thomas Byczkowski

Staudammbruch in Eisenerzbergwerk löst verheerende Umweltkatastrophe aus
Fünf Jahre nach dem verheerenden Dammbruch in einem Eisenerzbergwerk am Fluss "Doce" in Brasilien leiden die Betroffenen immer noch an den Folgen der größten Umweltkatastrophe des Landes.
Hier erzählen wir ihre Geschichten.

Wochenlang kursierten die Gerüchte über Risse im Fundão Damm in der Germano-Mine bei Mariana im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Der Damm sicherte ein Absetz-Becken für Klärschlämme: Wasser mit Erde, Erzen, Lösemitteln. Wochenlang wurden die Anwohner von Mitarbeitern der Bergbaugesellschaft Samarco Mineração SA beschwichtigt, bis die Wahrheit am 5. November 2015 mit infernalischem Getöse durchbrach:
Der Damm riss und wie ein Tsunami rasten mehr als 50 Millionen Kubikmeter* des giftigen Schlamms über Wälder, Felder, Häuser; spülten Autos mit sich, Bäume und Kühe; Menschen rannten um ihr Leben, Fische sprangen aufs Land. In Bento Rodrigues, dem ersten Ort nahe des Damms, starben 19 Menschen, eine Frau erlitt eine Fehlgeburt. Der Schlamm schob sich rund siebenhundert Kilometer weiter und vergiftete den Rio Doce bis in den Atlantik.
Einen Dreifach-Negativ-Rekord bescheinigte die US-Beraterfirma "Bowker Associates" später dem Betreiber "Samarco Mineração": Nie hat mehr Schlamm ein größeres Gebiet verseucht und einen teureren Schaden angerichtet. Anschaulich heißt das: Die 50 Millionen Kubikmeter haben eine Fläche groß wie Österreich getroffen und einen Schaden im Wert von 55 Milliarden Dollar angerichtet. Bis heute sind Fluss und Umland verseucht, das Trinkwasser vergiftet und etwa vier Millionen Menschen leiden an den Folgen der Katastrophe.
Missachtung von Sicherheitsstandards und Irreführung der Behörden
Wegen Missachtung von Sicherheitsstandards und Irreführung der Behörden wurde eine Strafe von rund 4,7 Milliarden Euro verhängt über die Samarco Mineração SA, ein Joint Venture zweier der größten Bergbauunternehmen der Welt: der brasilianischen Vale SA und der australo-britischen BHP Group. Darauf setzte Samarco mit Regierungsgenehmigung eine Stiftung ein, die sich um Entschädigungen kümmern sollte. Fischer, Farmer und Familien mussten also mit dem Verursacher selbst über ihre Schäden verhandeln.

Als „Wiederherstellung des Rio Doce“ bewirbt diese Fundação (dt. Stiftung) Renova ihre Arbeit, übt gleichzeitig ihre kaum eingeschränkte Macht über die Gelder mit diktatorischer Härte aus und führt international eine beispiellose Vertuschungs-Kampagne.
Keine Entschädigung für Betroffene
Die Verteilung von Geldern durch die Stiftung sei nicht nachvollziehbar, klagen fast alle der Interviewten. Unterstützungen für einfache Projekte würden häufig abgelehnt, fotogene Aufforstungen dagegen weithin beworben. Novo Bento, der Neubau der verschütteten Stadt Bento Rodrigues, ist auch nach fünf Jahren noch nicht fertig. Aber die Fischer entlang des Flusses bekamen Mitte 2020 ein Schreiben, in dem die Stiftung die Streichung der Nothilfen ankündigte: Der Fluss sei jetzt sauber und sie könnten wieder arbeiten. Unabhängige Studien beweisen das Gegenteil, werden aber von der Stiftung Renova angefochten. Die Anwohner kämpfen auf verlorenem Posten gegen den Bergbaugiganten. Dabei wünschen sich alle Befragten nur eines: Einen sauberen Rio Doce, damit sie wieder selbst die Kontrolle über ihre Leben bekommen.
*Manche Schätzungen gehen sogar von 62 Millionen Kubikmetern aus.
Die Recherchereise wurde unterstützt von Brot für die Welt und MISEREOR.
Die Menschen vom Rio Doce
Arnaldo, Joelma und Hermolau berichten in dieser Fotostrecke stellvertretend für viele Betroffene von ihren Schicksalen nach dem Staudammbruch.
Es sei viel ausgesät worden, um „Gras über die Sache wachsen zu lassen“, sagt Arnaldo in Bento Rodrigues. Alles solle grün sein, damit die Betroffenen nicht ständig die Ruinen der Katastrophe sehen müssten, argumentiere die Stiftung. Dass so die Spuren der Verwüstung auch vor den Augen der Welt versteckt werden, erwähnt sie dabei nicht. Auf dem Bild steht Arnaldo vor der Ruine seines Elternhauses, dort, wo einst das Zentrum von Bento Rodrigues war.
© Thomas Byczkowski
Die realen Spuren der Zerstörung sind dennoch sichtbar: Ein zerbrochener Wasserfilter vor Arnaldos Haus in Bento Rodrigues. Zudem sieht Arnaldo sie trotzdem fast täglich in seinen Träumen. Fünf Menschen hat er an jenem 5. November vor dem Schlammtod bewahrt: eine schwangere Frau zog er an den Haaren aus dem Schlamm. „Ich bin im Jenseits gewesen - und wieder zurückgekommen“, sagt Arnaldo und lacht.
© Thomas Byczkowski
Hinter Arnaldos Lachen stehen bis heute Albträume und Depressionen. Wie vielen anderen hat der Schlamm auch sein Leben begraben. Gerade wollte er sich in Bento Rodrigues ein eigenes Haus bauen, hier sitzt er vor den Ruinen des angefangenen Baus. Der Minengesellschaft zum Trotz schneidet Arnaldo dort regelmäßig Büsche und Sträucher herunter, „damit niemand vergisst, was hier passiert ist.“ Bis heute warten fast alle Opfer in Notunterkünften oder Mietwohnungen darauf, ihr Leben weiterleben zu können.
© Thomas Byczkowski
„Wir sind empört und hilflos“, sagt Joelma, die mit ihren drei Töchtern direkt an einer Bahnlinie der Minenfirma Vale in Ilha Brava lebt, eine halbe Auto-Stunde westlich der Großstadt Governador Valadares. Joelma verdient ihr Geld mit einem Gemüsegarten, den sie auf einer künstlich angelegten Insel im Rio Doce kultiviert hat. Seit der Fluss und damit ihr Wasser vergiftet ist, weiß sie nicht, was ihre Pflanzen alles in sich aufsaugen. Trotzdem muss sie ihre Waren auf dem Markt verkaufen, damit sie selbst überleben kann.
© Thomas Byczkowski
Auf Joelmas Insel im Rio Doce steht eine kleine Schutzhütte. Heute kommt sie niemand mehr dort besuchen. Die Menschen sind oft verzeifelt. „Sie (die Mitarbeiter von Renova) kommen in die Gemeinde, geben einigen Rechte und anderen nicht. Sie spielen die Gemeinde gegeneinander aus“, sagt die Kleinbäuerin und fürchtet um die Zukunft der Kinder im Ort. „Früher war der Fluss ihr Spielplatz. Jetzt gehen die Kinder wohin auch immer und bekommen schlechte Dinge in den Sinn.“
© Thomas Byczkowski
Was MISEREOR tut
Als Nichtregierungsorganisation setzt sich MISEREOR dafür ein, dass die Einhaltung von Menschenrechten zum internationalen Standard wird: Dazu machen uns stark für Menschen, deren Rechte nicht geachtet werden, setzen uns für ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz ein und erzählen die Geschichten derer, die vor allem von großen Konzernen nicht gehört werden.
Was Sie tun können
Als Unterstützer können Sie unseren Aufruf für ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz unterschreiben: Erinnern Sie unsere Bundestagsabgeordneten daran, dass sie es in der Hand haben, die Menschenrechte auch gegenüber internationalen Konzernen zu stärken und Gerechtigkeit vor Profit zu stellen. Den Link finden Sie weiter unten!
Bleiben Sie informiert: Abonnieren Sie unseren Newsletter zu entwicklungspolitischen Themen
frings.-Magazin
Wir haben Ihr Interesse geweckt? Wenn Sie mehr zu dem Thema lesen möchten, bestellen Sie hier die aktuelle frings-Ausgabe.

Menschenrechte vor Profit
Menschenrechte, Naturschutz und wirtschaftliche Entwicklung gleichzeitig fördern und achten - diese Wirtschaftsordnung wird selten beachtet. Wie MISEROR Unternehmensverantwortung einfordert und weitere Informationen erhalten Sie hier
Initiative Lieferkettengesetz
Die Erfahrung zeigt: Es reicht nicht aus, dass sich einige Unternehmen freiwillig um die Achtung der Menschenrechte in ihren Lieferketten bemühen. Es braucht gesetzliche Vorgaben, die von allen Unternehmen umgesetzt werden müssen. Zur Kampagne
Haben Sie Fragen?
Das Bischöfliche Hilfswerk Misereor e. V. ist wegen Förderung der Entwicklungszusammenarbeit nach dem Freistellungsbescheid des Finanzamtes Aachen-Stadt, Steuer-Nr. 201/5900/5748, vom 28.09.2021 für das Jahr 2020 nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuer befreit.