Der aktuelle Schuldenreport stuft 130 von 152 untersuchten Ländern im Globalen Süden als kritisch verschuldet ein, 24 von ihnen sehr kritisch. Staaten des Globalen Südens müssen 2024 so viel Schuldendienst wie noch nie an ihre ausländischen Gläubiger leisten. In 45 Staaten fließen mehr als 15 Prozent der Staatseinnahmen in den ausländischen Schuldendienst.
90 Prozent der extrem armen Menschen weltweit leben in kritisch oder sehr kritisch verschuldeten Ländern. Besonders betroffen ist die Region Subsahara-Afrika. Dies liegt unter anderem daran, dass 2022 die Wirtschaft in Subsahara-Afrika im Vergleich zu anderen Weltregionen im Globalen Süden am langsamsten gewachsen ist. In den Regionen Lateinamerika und der Karibik sowie in Südasien, Südostasien und dem Pazifik ist die Verschuldungssituation ebenfalls in über der Hälfte der untersuchten Länder als kritisch oder sehr kritisch einzuschätzen. In Lateinamerika und der Karibik ist die Verschuldungssituation bereits seit vielen Jahren anhaltend problematisch. Neu ist der hohe Schuldenstand hingegen in Südasien, Südostasien und dem Pazifik. Im Vergleich zu 2019 hat sich hier die Situation in über sechzig Prozent der untersuchten Länder deutlich verschlechtert. Die Schuldendienstzahlungen von Niedrig- und Mitteleinkommensländern sind auf einem ähnlich hohen Niveau wie zuletzt Ende der Neunziger Jahre (Stand der Analyse: November 2023).
Durch den hohen Schuldendienst fehlen den verschuldeten Staaten im Globalen Süden finanzielle Spielräume für Klimaschutz, Soziales und Zukunftsinvestitionen. Vor allem Länder mit sehr kritischer Schuldensituation sind gezwungen, ihre öffentlichen Ausgaben besonders spürbar zu kürzen. Die Finanzierung sozialer Grunddienste wie Gesundheitsversorgung, Bildung oder Wasserversorgung ist gerade in besonders kritisch verschuldeten Ländern kaum mehr möglich. Pandemie, Krieg, Klimawandel und nachfolgende Krisen haben sich zu einer permanenten Polykrise verdichtet. Der Schuldendienst zwingt hochverschuldete Länder auch während der anhaltenden Krisen zu weiteren Kürzungen der Gesundheits- und Sozialbudgets.
Mitten in einer dramatischen Gleichzeitigkeit verschiedener Krisen und mehr als 20 Jahre nach der von den G8 beschlossenen Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete Staaten (Heavily Indebted Poor Countries Initiative, kurz HIPC-Initiative) ist der Ruf nach einem neuen „Erlassjahr“ für überschuldete Länder aktueller denn je. Denn die bislang ergriffenen Maßnahmen der G20 haben keine substantiellen Schuldenerlasse gebracht. Wir fordern zusammen mit internationalen Entschuldungsinitiativen von den Gläubigerregierungen eine langfristige Lösung der Schuldenkrise durch Schaffung eines fairen und verbindlichen Staateninsolvenzverfahrens. Um ihrem Bekenntnis im Koalitionsvertrag für ein solches Verfahren noch in dieser Legislaturperiode gerecht zu werden, muss die Bundesregierung jetzt politisch handeln.
Zwei globale Krisen werden in der politischen Debatte zunehmend zusammen betrachtet: Die Klimakrise und die Schuldenkrise im Globalen Süden. Der fortschreitende Klimawandel verstärkt die Schuldenkrise weiter: Naturkatastrophen belasten die von Überschuldung betroffenen Staaten zusätzlich und zwingen diese Länder zu weiteren Kreditaufnahmen – ein Teufelskreis.
Länder des Globalen Südens verfügen oft über zu wenig finanzielle Mittel, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Steigende Überschuldungsrisiken schränken ihre politische Handlungsfähigkeit zusätzlich ein. Die Hungerkrise im südlichen Afrika hält an, um nur ein Beispiel zu nennen. Sie betrifft auch hoch verschuldete Länder wie Mosambik, Sambia und Simbabwe. Aber auch Madagaskar und Jemen sind von Hunger und Dürre betroffen. Die durch den Klimawandel immer häufiger und heftiger auftretenden Wetterextreme wie Wirbelstürme, Starkregen und Dürren stellen eine besondere Gefährdung für die Menschen in hoch verschuldeten Ländern dar. Krisenverschärfend wirkt, dass viele kritisch verschuldete Länder trotz ihrer desolaten Lage davor zurückscheuen, Umschuldungen frühzeitig in Angriff zu nehmen – auch aus Angst vor negativen Reaktionen der Gläubiger.
Ein Beispiel dafür ist Pakistan, das nicht nur sehr kritisch verschuldet ist, sondern auch zu den Ländern gehört, die am stärksten unter den Folgen der Klimakrise leiden. Im August 2022 erlebte Pakistan die schwerste Flutkatastrophe seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im Sommer 2023 hat Pakistan nur knapp eine Zahlungsunfähigkeit durch die Aushandlung eines IWF-Programms abgewendet. Der Schuldendienst des Landes ist aber weiterhin außerordentlich hoch. Wie aber soll das Land Mittel für den immer noch laufenden Wiederaufbau und den Schutz vor künftigen Katastrophen mobilisieren?