Protestaktion vor dem Haus der deutschen Wirtschaft zum Besuch von Lula da Silva
(Berlin, 4. Dezember 2023) Anlässlich des heutigen Berlin-Besuchs des brasilianischen Staatspräsidenten Inácio Lula da Silva fordert Misereor eine Neuverhandlung des geplanten Handelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur. „In der bisherigen Fassung wäre das Abkommen ein Brandbeschleuniger für die Klimakrise, Artensterben und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegenüber indigenen Gemeinschaften“, warnt Armin Paasch, Handelsexperte bei Misereor. Am Nachmittag beteiligt sich Misereor deshalb an einer Protestaktion des Netzwerks Gerechter Welthandel vor dem Haus der Deutschen Wirtschaft, in dem ab 14.30 Uhr das Deutsch-Brasilianische Wirtschaftsforum stattfindet. Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Lula sind dort als Redner angekündigt.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hatte wiederholt gewarnt, der Amazonas nähere sich einem gefährlichen Kipppunkt, nach dem sich ein Großteil des Amazonasgebietes in eine Savanne verwandeln könne – mit verheerenden Folgen für das Weltklima. „Vor dem Hintergrund wäre ein Handelsabkommen nicht zu verantworten, das südamerikanische Exporte von Rindfleisch, Soja, Zuckerrohr und metallischen Rohstoffen fördert: die Haupttreiber der Waldzerstörung, auch im Amazonas“, so Paasch.
Das Nachhaltigkeitskapitel des Abkommens würde zudem im Gegensatz zu den Handelskapiteln nicht dem Sanktionsmechanismus des Abkommens unterliegen. „Die Verabschiedung des Abkommens wäre ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag der Bundesregierung, in dem sie umsetzbare und durchsetzbare Regeln zum Schutz von Menschenrechten, Wald- und Klimaschutz zur Voraussetzung einer Zustimmung erklärt hatte.“ Die EU-Kommission hat außerdem eine Abspaltung des Kooperationsteils erwogen, um den Handelsteil ohne Zustimmung nationaler Parlamente verabschieden zu können. Dem Abkommen würde damit eine Menschenrechtsklausel fehlen, die nur im Kooperationsteil enthalten ist.
Ausgerechnet während der laufenden Klimakonferenz in Dubai wollten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Lula letzte Differenzen ausräumen, um das Abkommen bereits beim Mercosur-Gipfeltreffen ab dem 7. Dezember in Brasília verabschieden zu können. „Für Klima und Menschenrechte ist es eine gute Nachricht, dass die Verabschiedung im Hauruckverfahren vorerst gescheitert ist“, erklärt Armin Paasch. Am Wochenende hatte die argentinische Regierung erklärt, dass sie die Entscheidung über das Abkommen dem künftigen Präsidenten Javier Milei überlasse, der am 10. Dezember sein Amt antreten wird. Ob dieser dem Abkommen zustimmen wird, ist ungewiss.
Misereor fordert von der EU und der Bundesregierung eine grundlegende Reform ihrer Handelspolitik und eine Neuverhandlung des Handelsabkommens mit dem Mercosur. „Nachhaltigkeit darf auch in der Handelspolitik keine Floskel bleiben, sondern eine unverrückbare Leitplanke.“ Handelsabkommen müssten insbesondere den Ländern des Globalen Südens deutlich mehr Spielraum zum Schutz und Förderung ihrer eigenen Landwirtschaft und Industrien zugestehen. Eine Studie der Universität von Buenos Aires hatte aufgrund der in dem Abkommen vorgesehenen radikalen Marktöffnung vor einem möglichen Verlust von bis zu 184.000 Arbeitsplätzen in der argentinischen Metall- und Automobilindustrie gewarnt. Das brasilianische Wirtschaftsforschungsinstitut IPEA hatte ebenfalls eine Vertiefung der „Deindustrialisierung“ und „negative langfriste Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt“ als Folge des Abkommens vorausgesagt.
Weitere Hintergründe sind nachzulesen im Misereor-Blog unter: https://blog.misereor.de/2023/11/28/eu-mercosur-abkommen-kurz-vor-dem-abschluss-ein-kuhhandel-auf-kosten-von-klima-und-menschenrechten/