(Aachen/Berlin, 26. September 2022). Anlässlich des Erntedankfestes am 2. Oktober appelliert Misereor an die Bundesregierung, bei der Hungerbekämpfung insbesondere Frauen und ihre Situation in den Blick zu nehmen. Wer Hunger bekämpfen will, muss Frauen stärken und Gleichberechtigung fördern.
„Die wachsende Nahrungsmittelkrise trifft besonders Frauen und Mädchen. Sie wird sowohl durch den Klimawandel, den Krieg in der Ukraine und durch die aktuellen Preissteigerungen weiter verstärkt“, erklärt Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. „Wir begrüßen daher, dass die Bundesregierung eine feministische Entwicklungspolitik vorantreiben will. Insbesondere im Kampf gegen den dramatisch wachsenden Hunger in vielen Ländern des Globalen Südens gilt es, Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und der Ernährungssicherung zusammen zu denken“, so Spiegel weiter.
Weltweite Nahrungsmittelkrise trifft besonders Frauen
Bereits im Jahr 2020 litten laut der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zehn Prozent mehr Frauen als Männer unter Hunger. Ein Jahr zuvor waren es sechs Prozent. Die negative Entwicklung hat sich 2021 unter anderem durch die Covid-19-Pandemie und die fortschreitende Klimakrise weiter verstärkt. „Die geschlechterspezifische Diskrepanz bei der Ernährungssicherheit wächst“, mahnt Sarah Schneider, Expertin für Welternährung bei Misereor.
„Frauen leiden Hunger, weil sie häufiger in Armut leben, häufiger schlecht bezahlte oder unbezahlte Arbeit machen als Männer“, erläutert Schneider. Sie litten Hunger, weil ihnen der Zugang zu Land noch immer vielerorts verwehrt werde und weil patriarchalische Gesellschaften Frauen sozial und ökonomisch benachteiligten. „Projektpartner aus Indien berichten, dass Frauen häufig noch immer weniger oder weniger nahrhafte Lebensmittel zu sich nehmen als Männer und Kinder, weil diese bei der Nahrungsverteilung bevorzugt würden“, so Schneider.
Hunger in Brasilien dramatisch – indigene Frauen besonders betroffen
Viele Frauen erleben mehrfache Diskriminierung. Je mehr Dimensionen der Diskriminierung etwa aufgrund des Geschlechts, der Ethnie oder der Hautfarbe zusammentreffen würden, umso höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass das Menschenrecht auf Nahrung wie auch andere Rechte verletzt würden. Schneider erläutert: „In Brasilien zum Beispiel, wo am 2. Oktober Wahlen stattfinden, ist die Zahl der Hungernden in den vergangenen zwei Jahren dramatisch angestiegen. Betroffen sind unter anderem indigene Frauen.“
Gleichzeitig sind Frauen Schlüsselpersonen, wenn es um die Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung geht: Sie sind Ernährerinnen, Bäuerinnen, Kämpferinnen für Land. „In Indien beispielsweise waren 2016 41 Prozent der in der Landwirtschaft Tätigen weiblich, doch in lediglich 14 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind sie selbst Eigentümerinnen“, erklärt Schneider. „Wir beobachten immer wieder: Wenn Frauen über die nötigen Ressourcen und Entscheidungsmöglichkeiten verfügen, wirtschaften sie gewinnbringend und nachhaltig.“ Das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) sollte dies durch spezifische Programme unterstützen, welche die Vergabe von Krediten, agrarökologische Beratungsprogramme und die Unterstützung von Frauenorganisationen in Ländern des Globalen Südens umfassen. „Der Ansatz einer feministischen Agrarökologie ist sowohl für Ziel 2 für nachhaltige Entwicklung (SDG 2) „Null Hunger“ und SDG 5 „Geschlechtergleichheit“ relevant und sollte im Rahmen einer feministischen Entwicklungspolitik vorangebracht werden.“
Erntedank ist politisch
1958 als „Werk gegen Hunger und Krankheit in der Welt“ gegründet, nimmt Misereor das Erntedankfest zum Anlass einer Publikationsreihe, in der aktuelle Herausforderungen bei der Hungerbekämpfung herausgestellt, Lösungswege zu Ernährungssouveränität skizziert und Vorschläge gemacht werden, wie das UN-Nachhaltigkeitsziel „Null Hunger“ bis 2030 noch erreicht werden kann.